Samstag, 9. Februar 2013

Messie


Schon im letzten Jahr gab es Hinweise darauf, dass sich unter meinen Kunden ein Messie befindet. Ein Handwerker musste die Wohnung betreten, was erst nach Einschaltung eines Anwalts und mit erheblichen Drohungen gelang. Dieser Servicetechniker rief mich nach seinem Einsatz vollkommen aufgelöst an und berichtete mir von geradezu unglaublichen Zuständen.

Es gab Gespräche, eindringliche Gespräche. Es gab eine letzte Frist, und tatsächlich kam ein Container. Ich war erleichtert. Der Kunde berichtete mir ausgiebig, dass seine Wohnung geräumt sei, und leider glaubte ich ihm. Der Schutz der Privatsphäre ist mir wichtig, die Unverletzlichkeit der Wohnung ein Grundrecht, und ich hatte ja durch die Containerbestellung einen Grund zu Annahme, dass das schlimmste Chaos beseitigt sein würde. Wie „schön“ und ordentlich oder eben chaotisch jemand wohnt, geht mich nichts an, solange keine Maden ins Treppenhaus kriechen. Daher verzichtete ich auf eine Kontrollbesichtigung der Wohnung.

Bis vor einigen Tagen hatte ich die Angelegenheit abgehakt. Dann aber erzählte mir die Bewohnerin der Wohnung unter dem unordentlichen Herren von seltsamen Rissen in der Zimmerdecke. Ich möge mir das bitte anschauen.

Das war nun ein erhebliches Alarmzeichen vor dem Hintergrund, dass der Messiekunde vor allem Zeitungen hortete. Stapelweise Zeitungen, deckenhoch. Die Fenster können nicht mehr geöffnet werden. Papier ist schwer, Papier in solchen Unmengen kann ein Statikproblem sein. Ich war nun sehr, sehr besorgt.

Um es abzukürzen: Der Kunde gab zu, dass eigentlich nur sein Keller ein wenig geräumt worden war, nicht aber die Wohnung. Mit Unterstützung durch den Anwalt und der Hilfe eines Sozialarbeiters konnte der Zugang erzwungen werden, um mit eigenen Augen grob zu sehen, wie dringend man handeln musste. Denn der Statiker hat selbst in einem eiligen Fall einige Wochen Vorlaufzeit, und der Gedanke an eine durchgebrochene Decke ließ mich nicht mehr schlafen.

Es ist eine Sache, im Fernsehen Messie-Wohnungen zu sehen, aber es fühlt sich komplett anders an, wenn man ganz real zwischen Bergen von Müll steht. Der Kunde, ein an sich seriöser älterer Herr mit einem akademischen Beruf, Single, zurückhaltend, viel auf Reisen, stand verzweifelt zwischen dem ganzen Unrat und stammelte, er habe schon mit dem Aufräumen begonnen, aber das alles seien wichtige Dokumente, das müsse er sortieren, das dauere noch einige Zeit. Wir mussten mit schweren Drohungen verdeutlichen, dass möglicherweise eine Gefahr für das Leben der Nachbarin besteht und wir eine sofortige Räumung fordern. Es wurde ein Termin gesetzt, ich hatte die Adresse eines Entrümpelungsunternehmens dabei und hatte auch schon die Kosten eruiert, mehr können wir momentan nicht tun.

Als der Kunde langatmig erzählte, er müsse auch die alten Zeitungen erst noch durchschauen, wagte ich es, von relativ aktuell scheinenden Stapel, der noch nicht ganz vergilbt und noch nicht deckenhoch war, die oberste Ausgabe zu nehmen.

Sie stammte vom Sommer 2000.

Wir alle hoffen, dass der Kunde nun wirklich räumen lässt, aber unser Optimismus hält sich in Grenzen. Messies können sich von nichts trennen, der Kunde schämt sich zwar offensichtlich, aber er kann den Zustand nicht ändern. Rein rechtlich können wir auch nur sehr schwierig ein Aufräumen erzwingen. Erst muss der Statiker bestätigen, wie gefährlich der Schaden an der Decke ist. Dazu muss der Statiker aber in die Wohnung, und vor allem muss er den Boden sehen. Dieser ist fast vollständig zugemüllt, es gibt nur einen winzigen Schleichweg durch die Wohnung, das „Bett“ des Herrn ist eine Art Kartonstapel . Es ist schrecklich menschenunwürdig, traurig und ja, auch widerlich.

Ich mag diesen Kunden nicht besonders, er ist ein schwieriger Mensch, der sich über alles und jeden beschwert, auch über den Dreck, den Kinder angeblich machen – welche Ironie. Aber trotz der geringen Sympathie tut er mir leid – niemand sollte so vermüllt leben müssen.




Keine Kommentare: